Cannabis: Warum gelingt der Indoor-Anbau nicht (mehr) richtig?

Mit Insekten befallenes Hanfblatt

Unser Autor und Grow-Experte Mr. José bekommt häufig Mails von Growern, die über ein bestimmtes Aufzuchtsystem meckern, für das sie viel Geld ausgegeben haben und das gar nicht nach ihren Vorstellungen funktioniert. Manche Grower haben gleich mit mehreren Systemen ihre Schwierigkeiten – und das, obwohl die allererste Ernte oft ein großer Erfolg war. Daher beschäftigt sich vorliegender Artikel mit nachlassender Leistung beim Indoor-Grow und was man ihr entgegensetzen kann.

Mr. José

Es ist schon fast unglaublich, wie vielen Growern ihre erster Grow sehr gut gelingt. Wie beim Pokern vom Anfängerglück zu sprechen, scheint mir aber nicht die richtige Herangehensweise sein. Denn oft sind die nachfolgenden Ernten schon weniger vielversprechend als die erste und hier dem Glück oder gar auf der anderen Seite dem Pech in Form von schlechten Stecklingen oder Samen die Schuld zu geben, trifft es in der Regel wohl nicht. Fehler, die gemacht werden, werden in den allermeisten Fällen von den Growern selbst begangen. Doch welche sind dies – und warum treten sie auf?

Faulheit und Schlamperei

Eine Ursache für Misserfolge ist die Faulheit. Wenn die erste Ernte gut gelungen ist, ruhen sich bereits einige Grower auf ihrem Lorbeer- beziehungsweise Cannabiskranz aus und vermindern ihren Fleiß und Einsatz. Wenn sie das erste Mal von ihren eigenen Blüten kosten und zufrieden sind, denken einige bereits, dass sie zum Experten geworden sind. Doch der erste Erfolg führt oft zur Nachlässigkeit: beim ersten Grow wird in der Regel nichts dem Zufall überlassen. EC- und pH-Werte und die Feuchtigkeit des Mediums werden permanent überprüft, alle vorgeschlagenen Empfehlungen und Anleitungen werden genau eingehalten und dergleichen. Doch bereits bei der zweiten oder dritten Runde wird der EC-Wert nicht mehr so oft gemessen, die Pflanzen werden mehr aus Pflichtgefühl anstatt aus Interesse kontrolliert und automatischen Prozessen wird mehr und mehr vertraut, anstatt persönlich nach dem Rechten zu sehen. Das Ergebnis lässt dann nicht lange auf sich warten: schlecht gedüngte Pflanzen, eine zu heftige Bewässerung und zu viel Feuchtigkeit, große Temperaturunterschiede und eventuell sogar übersehene Schädlinge. Wenn also plötzlich Probleme beim Growen auftreten, lautet mein erster Rat: Man sollte wieder mit mehr Sorgfalt arbeiten und sich vor allem der richtigen Bewässerung und dem richtigen Klima widmen.

„Verbesserungen“

Wenn einem beim ersten Mal etwas gut gelingt, hat man das Gefühl, dass es beim nächsten Mal noch besser sein sollte. Einige Grower beginnen mit dieser Begründung zu experimentieren. Dies ist auch gar nicht verwerflich, denn so kommen neue Erkenntnisse zustande, allerdings wird oft dort angefangen zu experimentieren, wo es weniger Sinn macht. Typisch ist beispielsweise das Herumdoktern an der Bewässerung – der Häufigkeit des Gießens und der Menge an Wasser. Manche denken etwa, wenn man mehr gießt, wachsen auch größere Pflanzen, was natürlich nicht stimmt. Ein weiteres grundlegendes Problem vieler Grower ist auch der vollständige Verzicht auf Aufzeichnungen. Wer notiert schon jeden Tag die EC- und pH-Werte der Nährlösung oder mehrfach in der Woche die Temperatur und Feuchtigkeit der Erde? Und wer notiert schon, an welchem Tag er wie viel Wasser gegeben hat, falls er doch mit dem Gießen herumexperimentiert? Viele Grower werden dies lästig finden, aber wie soll man einen Anfangserfolg wiederholen oder sogar übertreffen, wenn man nicht genau weiß, wie man ihn erreicht hat? Wenn man alle Veränderungen hinsichtlich Belüftung, Bewässerung, Lampenhöhen und Nährwerten notiert, wird man in Zukunft deutlich einfacher die Unterschiede zwischen einer erfolgreichen und einer nicht erfolgreichen Ernte erkennen können.

Hüten sollte man sich vor individuellen Verbesserungsvorschlägen aus diversen Internet-Foren. Viele Grower scheinen zu glauben, dass bestimmte Individuallösungen von manchen Forenteilnehmern unglaubliche Entdeckungen darstellen, die noch niemand anderes kennt oder ausprobiert hat. Doch nur, weil ein Grower eine hervorragende Ernte eingefahren hat und davon berichtet, muss dies nicht zwangsläufig mit dem von ihm besonders hervorgehobenen Umstand zusammenhängen. Die Ernte kann auch aus ganz anderen Gründen besonders gut ausgefallen sein – und dennoch halten dann einige Leser die vorgestellte Idee für den rettenden Einfall, um ihre eigene Zucht voranzutreiben. Dabei reicht es, sich an hinlänglich bekannte und überprüfte Verfahren zu halten. Niemand verheimlicht das riesige Geheimnis, wie man seine Ernte verdoppeln kann, vor den kleinen Homegrowern. Im Gegenteil – all die sensationellen Internet-Entdeckungen sind gewöhnlich Unsinn, die mehr Schaden als Nutzen verursachen können.

Ein häufiges „Experiment“ ist die Erhöhung der Anzahl der Lampen bei gleichzeitiger Einhaltung der Größe der Zuchtfläche. Klar, kaum etwas ist wichtiger als Licht und die Pflanzen sollten davon so viel wie möglich bekommen. Wenn man jedoch einfach eine weitere Lampe zu einem bestehenden System hinzunimmt, müssen auch parallel weitere Faktoren geändert werden, etwa Feuchtigkeit und Temperatur. Kauft man beispielsweise zur bestehenden noch eine zweite 400-Watt-NDL, ist man auf dem besten Weg, sich bald über eine miserable Ernte zu beschweren, wenn man nicht gleichzeitig auch für stärkere Zu- und Abluft sorgt. Denn eine weitere Lampe bedeutet nicht nur zusätzliches Licht, sondern auch zusätzliche Wärme, die zu einer verminderten Feuchtigkeit und einem schnelleren Austrocknen des Zuchtmediums führt. Daher mein zweiter Rat: Man sollte sich sorgfältig Notizen zur Aufzucht machen und wenn man sich für eine Änderung entscheidet, sollte man dabei auch alle Zusammenhänge bedenken. Und mein zweieinhalbster Rat lautet: Internetforen sind gute Helfer, wenn es um allgemeine Probleme geht, die schon von mehreren Personen gelöst wurden. Bezüglich Notfallrettungen und revolutionären Verfahren eignen sie sich eher nicht zur Recherche.

Neuheiten

Wer hat nicht schon von dem System gehört, das keinerlei Fürsorge voraussetzt und das dennoch doppelt so hohe Ernten hervorbringt wie andere? Ich habe so etwas schon öfter gehört. Ich habe aber auch gehört, dass ich, wenn ich Ulta Fit’n Slim trinke, zum Abendessen doppelt so viel essen kann wie sonst und trotzdem abnehme. Mir sind Dutzende Fälle bekannt, bei denen Züchter immer wieder etwas Neues ausprobieren, aber niemals an die Erfolge der Anfangszeit, meist mit einem selbst hergestellten Heimsystem, anknüpfen können. NFT (Nutrient Film Technique), Aeroponik, Aquasysteme – das sind alles Systeme, die hervorragend funktionieren, aber deren richtiger Einsatz auch erlernt werden muss. Doch wenn die erste Ernte bereits ein Erfolg war, warum sollte man vorschnell auf ein neues System umsteigen? Ein NFT-Hersteller wird zum Beispiel in seinen Werbematerialien nur auf die Vorteile hinweisen, aber eher nicht darauf, dass solch ein System perfekt ausbalanciert und einige Dinge beachtet werden müssen. NFT-Systeme können natürlich tatsächlich beste Ergebnisse hervorbringen und werden grundsätzlich auch von mir empfohlen, ich möchte nur auf das alte Sprichwort „ohne Fleiß kein Preis“ hinweisen, denn auch beim Anbau bekommt man nichts geschenkt. Mein dritter Rat lautet daher: Wenn ein bestehendes System funktioniert, sollte es nicht ausgetauscht werden. Stattdessen sollte zur Qualitäts- und/oder Ertragssteigerung vermehrt auf die bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse der Pflanzen geachtet werden.

Komplexität

Ein weiteres Problem vieler Zuchtsysteme ist ihre Kompliziertheit. Das Growen soll vor allem ein Hobby und eine Unterhaltung sein. Deswegen sollte man es auch so unkompliziert wie möglich halten. Auch der Anschluss von Beleuchtung, Ventilation und eventuell Bewässerung sollte daher so übersichtlich wie möglich geschehen. Der gewählte Dünger sollte so leicht wie möglich dosiert werden können und so wenige Bestandteile wie möglich enthalten. Wenn man sich mal in einem Growshop umsieht, könnte man den Eindruck bekommen, dass der Cannabisanbau etwas mit Alchemie zu tun hat, wenn man die ganzen angebotenen Präparate sieht. Doch es geht auch mit einem Minimum an Zusätzen und Elektronik. Die Auswahl der angebotenen Produkte wächst ständig, doch die Anbauergebnisse bleiben im Allgemeinen auf dem gleichen Niveau. Mein vierter Rat lautet daher: Je weniger Elektrogeräte und Fläschchen im Growroom zu finden sind, desto übersichtlicher und einfacher ist die Zucht selbst.

Übertriebene Erwartungen

In einem Punkt ähneln viele Grower begeisterten Anglern – ihre Ernte ist in den Erzählungen ihren Freunden und Bekannten gegenüber meist viel größer ausgefallen als in der Realität. Dadurch bekommen andere Grower allerdings das Gefühl, dass sie schlechtere Ernten einfahren würden als die Allgemeinheit. Doch in Wirklichkeit gelingt auch sehr erfahrenen Growern mal eine Ernte so gut, dass sie selbst ins Staunen geraten, die ein oder andere dafür aber nur unterdurchschnittlich. Schwankungen bei der Ernte sind normal und das Ziel sollte sein, diese Schwankungen so gering wie möglich zu halten. Dabei ist es immer besser, die Erwartungen nicht zu hoch anzusetzen. Dies gilt bereits bei der Auswahl der Cannabissorte. Die Versprechungen der Verkäufer und Samenproduzenten sind, vorsichtig ausgedrückt, oft recht optimistisch, aber viele Grower denken, dass die angegebene Erntemenge realistisch sei. Die oftmals angegebene Erntemenge pro Quadratmeter ist von sehr vielen Faktoren abhängig und kann wohl in der Regel als die absolut zu erreichende Obergrenze angesehen werden. Jeder vernünftige Samenproduzent wird bestätigen, dass man diese Zahlen nicht für bare Münze nehmen sollte und diese aber dennoch oft auf Kundenwunsch hin angegeben werden. Mein fünfter Rat lautet also: Jeder Grower sollte auf sich selbst vertrauen, aber immer mit eher schlechteren Ergebnissen rechnen. So werden Enttäuschungen vermieden, aber angenehme Überraschungen ermöglicht.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in Highway 06/2017

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